Ich kenne nur wenige Menschen, die wirklich authentisch sind. Ich versuche es zu sein, aber ich bin es noch lange nicht. Fast jeder ist auf der Suche nach seiner wahren Identität. Wahrscheinlich sogar umsonst. Ich habe vor einiger Zeit eine Theorie aufgestellt, die sich in diesem Leitsatz ausdrückt: Sei der, der du bist, und du wirst der sein, der du sein willst. Die Idee kam mir, als ich in meinen alten Fotoalben stöberte. Ein Foto fiel mir dabei auf. Ich war darauf vielleicht zehn oder elf Jahre alt. Es zeigte mich und meine Spielkameraden bei einem Sommernachtsfest der Nachbarschaft. Ich hatte eine Schiebermütze auf, trug eine Jeansjacke und Jeanshose, außerdem erzählte ich gerade den jüngeren Geschwistern meiner Freunde eine Gruselgeschichte. Ich erinnere mich gut daran, weil wir später, als wir die Kleinen erschreckten, einen riesen Anschiss kassierten. Doch darauf will ich nicht hinaus. Das Sommerfest liegt jetzt sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahre zurück, aber eigentlich mache ich heute genau dasselbe; und ich zieh mich immer noch so an. Damals trug ich allerdings die Schiebermütze, weil ich Detektiv gespielte habe. Tja, und mit meinem Romanmanuskript, von dem ich bereits erzählte und an dem ich im Augenblick arbeite, will ich, jedenfalls im weitesten Sinne, Kindern erschrecken. Also war der Sebastian Janowitz, der heute in seinem Büro sitzt und Jugendfantasiegeschichten schreibt schon vor langer Zeit da. Warum bin ich heute aber noch nicht ein bekannter Schriftsteller, der seinen ersten Roman mit 12 Jahren veröffentlicht hat? Weil mich eine Welt umgibt, die einem vorgeben und vortäuschen will, wie man sein Leben richtig führt. In der Werbung sieht man Männer mit Sixpack, die tonnenweise Eis schlecken. Frauen mit Idealmaßen, (wobei ich nicht an perfekte Proportionen glaube), die kiloweise Schokolade essen. Erkennt ihr den Widerspruch in der Geschichte. Tja, und dann gibt es noch das Elternhaus, das selbst auf Anpassung konditioniert wurde und diese Werte weitergibt. »Was sollen die Nachbarn denken?« Sicher wisst ihr, wovon ich rede.
Tja, und wenn man in die Pubertät kommt, wird das mit der Sinnkrise und der Identitätsfindung erst richtig schlimm. Am übelsten ist es in der Schule, wo jeder picklige Vierzehnjährige es angeblich besser weiß, was cool ist. In dieser Zeit ist man ständig hin und her gerissen, zwischen der Stimme in einem, die flüstert: »Du bist gut genau so, wie du bist!«, und den inneren und äußeren Kritikern, die lauthals schreien: »Du musst das so und so machen, oder willst du ewig der Loser mit den Klettverschlussturnschuhen sein?« Am besten trägt man Marke. Was hat mich dieser Markenfetischismus genervt, vor allem, weil ich nie irgendwelche Markenklamotten bekommen habe. Da ist nicht richtig, ich trug auch Marke, allerdings von Woolworth, C&A und Secondhand!
Es ist nur meine Meinung und ich will dabei niemanden auf den nietenbesetzten Rocksaum oder auf seine Skaterschuhe treten, aber jede Jugend-Subkultur ist für mich nichts anderes, als ein Exil für all die verlorenen Seelen, die einen Ausweg aus ihrer Teenagerzeit suchen. Manche finden sich wirklich darin selbst, andere gehen damit unter und werden vom Genrekommerz weggeschwemmt.
Worauf wollte ich eigentlich hinaus? Ja, genau. Ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich neidisch auf Leute blicke, die ihr Ding durchziehen. Mir fallen jetzt keine anderen Beispiele ein, deshalb nenne ich einfach Rob Zombie, den Musiker und Comicautor ASP, die sich selbst zur Marke gemacht haben. Stephen King zähl ich ebenso dazu und sicher gibt es noch viele, viele mehr, die ich benennen könnte.
Wie auch immer, wenn mich der Neid packt, dann wäre ich gerne wie sie. Genau so, wie man sich damals in der Schule gedacht hat, dass man gerne so cool wäre, wie die aus der Zehnten in der Raucherecke. (Als ich später in der Zehnten war, stand ich selbst in der Raucherecke; ergo, ich bin cool und dumm gewesen). Das dauert bei mir eine Stunde oder einen Tag. Irgendwann komm ich wieder zur Besinnung und erinnere mich daran, dass es bei mir noch nie funktioniert hat, jemanden zu imitieren. Am besten läuft es, wenn ich mein Ding durchziehe.
Sei der, der du bist, und du wirst der sein, der du sein willst. Ich bin so oft es geht authentisch, versuche mich nicht zu verstellen, oder andere zu kopieren. Ich weiß aber auch, dass ich noch ein paar Prozent meines Selbst vor der Öffentlichkeit verberge, weil ich tief in meinem Inneren die Stimme höre: »Was sollen die Nachbarn denken.«